Berückender
Karneval
Ein Zyklus geht
zu Ende: Seit 1993 arbeitet Stefan Maria Marb mit seiner
Kompanie In-Out an dem Projekt "Hong 32",
angelehnt an das Hexagramm Nummer 32 im chinesischen
Orakelbuch I Ging, das die Dauer thematisiert und den
Choreographen zu einer theatralischen Jahreszeitenfolge
inspiriert hat. Viermal sind seine am ganzen Körper
weiß geschminkten Tänzerinnen und Tänzer
in den letzten Jahren unter dem Signum des Orakels aufgetreten,
haben Fackeln schwingend den Winter ausgetrieben, hingen
Kopf voraus über einem Felsen oder raschelten durchs
trockene Laub.
Winter, Frühling, Sommer, Herbst sind so vorübergezogen.
Zum Abschluß von "Hong 32", der schlicht
"Nr. 5" heißt, brachte Marb gemeinsam
mit Matthias Renert nicht die Landschaft in den theatralen
Raum, sondern bespielte mit vier Tänzerinnen, vier
Tänzern, einer Sängerin und einer Kontrabassistin
Hof und Garten der Burg Schwaneck in Pullach. Als hätten
sie sich dabei von den Wappen, Zinnen, Erkern und Türmchen
inspirieren lassen, bricht "Nr. 5" mit der
rauhen Strenge der vorangegangenen Teile. Zwei Tänzerinnen
- zarten Voile über ihren weißgeschminkten
Körpern - bewegen sich auf nackten Sohlen langsam
durch den Burghof, wecken Assoziationen an die berückenden
Gestalten des venezianischen Karnevals. Auf dem Söller
schwenken zwei Männer Fackeln, Christin Mollnar
singt die Arie der Königin der Nacht, und Christian
Stübner winkt wie ein Zeremonienmeister die Gäste
ins Innere der Burg und wieder hinaus in einen idyllischen
Garten.
Um ein wassergefülltes Bassin kauern die Tänzerinnen
in bewunderungswürdiger Stoik auf steinernen Kugeln,
balancieren auf ihnen, tanzen gar, bis zwei Männer
aus dem Wasser springen und wie Faune über die
Wiese toben. Fackeltänze, Rosen-Intermezzi, schwarzvermummte
Gestalten auf Stelzen- das hat was von Mummenschanz
und Festeinlage, ist so sentimental und pathetisch wie
kurzweilig und amüsant, dabei von überaus
präziser bewegungssprachlicher Gestaltung und gewohnt
extremem Körpereinsatz. Wenn dann fast zum Schluß
das Tor aufschwingt, sich Tänzerinnen, Stelzenmann
und Faune zum Schlager "Ein Land ist mein. .."
auf das Publikum zu- bewegen und Stübner dabei
ins Wasser geht, ist das richtig guter Trash. Zu Herzen
gehend. Und schön ironisch.
Katja Schneider, Süddeutsche
Zeitung vom 17. Mai 1999
-------
|